Flüchtlingsarbeit in der Kameralamtsstraße
„Ich wohne seit zwei Jahren in Stammheim“, sagte mir vor kurzem ein Geflüchteter aus Afghanistan. Er ist einer der 180 Bewohner in der Stammheimer Flüchtlingsunterkunft in der Kameralamtsstraße. Wie viele andere dort fühlt er sich mittlerweile als Stammheimer. Für ihn ist unser Stadtbezirk sein neues Zuhause geworden. Mit dazu beigetragen hat die Initiative zur Flüchtlingshilfe „Stammheim hilft!“.
Gut 2 1/2 Jahre ist es her, dass sich Stammheim mit der Tatsache konfrontiert sah, dass zunächst etwa 100 Flüchtlinge in unseren Stadtteil zugewiesen werden sollen. Ein neues Flüchtlingsheim sollte in nur wenigen Monaten entstehen. Erste negative Stimmen wurden laut – Angst vor dem Fremden, vor der Entwertung unseres Stadtbezirks. Werden wir als Stammheimer diese Aufgabe stemmen können?
Miteinander schon! Darauf setzte Bezirksvorsteherin Susanne Korge und lud zu zwei Informationsabenden. Viele kamen: einzelne Stammheimer Bürger sowie Vertreter von Vereinen, Kirchen und vom Bezirksbeirat. Die Bilder aus Kriegsgebieten und der deutschen Willkommenskultur vor Augen, wollten sie sich dafür einsetzen, dass es gelingt. Das war die Geburtsstunde von „Stammheim hilf!“
Während in der Kameralamtsstraße drei schlichte Gebäude in Systembauweise entstanden, bereiteten sich die Engagierten von Stammheim hilft! auf die Geflüchteten vor: Willkommenstaschen wurden genäht und bestückt.
Am 30. April 2016 kamen die Ersten. Mit der U15 und zu Fuß. Ehrenamtliche von Stammheim hilft! hießen sie willkommen. Sie kamen mit Hoffnungen auf ein neues Zuhause – wir mit vorsichtiger Zurückhaltung, wie man ihnen am besten begegnen soll. Der Erstkontakt war gar nicht so einfach: Denn die meisten Neuankömmlinge sprachen damals kaum Deutsch. Dank Übersetzer-Apps waren dennoch erste Gespräche möglich.
Die Arbeitsgruppen
Aus den ersten Vorbereitungen und Kontakten entwickelte sich eine fortwährende Hilfe. Da Ehrenamtlichen nicht unbeschränkt Zeit zur Verfügung steht, hat sich Stammheim hilft! in mehrere Arbeitsgruppen aufgeteilt, um die Lasten gleichmäßig zu verteilen. Welche Arbeitsgruppen gibt es und was haben sie in den vergangenen zwei Jahren gemacht?
AG Aktionen
· Wie gut syrische Teigtaschen „Lahma b ajin“ und das afghanische Reisgericht „Qabuli Pulau“ schmecken, davon konnten sich die Besucher bei den bisher vier Festen überzeugen. Organisiert von der AG Aktionen fanden sie in der Flüchtlingsunterkunft und im Kinder- und Jugendhaus Stammheim statt. Hier konnten die Flüchtlinge gemeinsam mit den Helfern von Stammheim hilft! und den Mitarbeitern der AWO feiern und mit Stammheimer Bürgern in Kontakt kommen.
· Neben den Festen veranstaltete die AG Aktionen regelmäßig Informationsabende, wie im November 2017, an dem der Sozialpädagoge Dirk Werhahn Hintergrundinformationen aus dem Bereich der Ehrenamtsforschung vortrug.
AG Projekte
· Selbst angebauten Salat und Gemüse genießen, das konnten die Teilnehmer am gesponserten Ackerprojekt „Ackerhelden“ in Korntal. 22 Parzellen mit Saatgut wurden für eine Saison zum eigenen Anbau zur Verfügung gestellt. Und weil’s so gut ankam, wurde jetzt eine eigene Ackerfläche direkt beim Flüchtlingsheim eingerichtet.
· Damit die neuen Bewohner von Anfang an mobil sind, wurden sie mit gespendeten und überholten Fahrrädern versorgt und ein wöchentlicher Fahrradreparaturservice eingerichtet.
· Außerdem unterstützte die AG durch Treffen für die Deutschkonversation, Kinderbastelaktionen und eine betreute Nähstube mit Nähmaschinen und Stoffen. Zudem sorgte sie für Außensitzbänke an den Gebäuden und für die Einrichtung der großen Gemeinschaftsräume.
AG Betreuung
· Deutsche Sprache ist schwere Sprache – das müssen auch die Flüchtlinge erfahren. Besonders die, die vorher noch keine Fremdsprache gelernt hatten – geschweige denn das Alphabet der Muttersprache beherrschen. Die AG Betreuung bot deshalb von Anfang an Deutschkurse in verschiedenen Schwierigkeitsgraden an. Das war gerade in den ersten Wochen und Monaten wichtig, wo viele Geflüchtete noch keine Deutschkurse von der Stadt bekamen.
· Zudem bietet die AG regelmäßig Spielnachmittage für Kinder ab 4 Jahren an, mit Singen, Basteln und Spielen, betreut von 5-7 Ehrenamtlichen. Außerdem einen Englischkurs, Hausaufgabenbetreuung und Prüfungsvorbereitung für die deutsche Sprachprüfung.
· Die Angebote richten sich sowohl an Gruppen als auch Unterstützung von Einzelnen. Die Kurse finden in der Unterkunft im Gemeinschaftsraum statt.
AG Materielles und Finanzen
· „Wie können wir den Flüchtlingen helfen?“ fragten gerade in den ersten Monaten viele Stammheimer, die gerne durch Sachspenden unterstützen wollten. Rat weiß die AG Materielles und Finanzen. Angefangen hat es mit einem Aufruf an die Stammheimer Bevölkerung nach Handtüchern und Bettwäsche. Die Stammheimer spendeten bereitwillig und großzügig – ebenso bei weiteren Spendenaufrufen nach Spielen und Büchern, Babywäsche und Kinderwagen sowie Kinderkleidern und Winterwäsche. „Wenn wir in Stammheim eine Sammlung gemacht haben, haben wir immer sehr viel bekommen“, meint Bianka Durst von der AG.
· Auch viele Firmen halfen großzügig, wie mit nagelneuen Kindertischen und -stühlen, mit Regalen und einem Bodenpuzzel, mit zwei Gitarren für ein Musikprojekt sowie mit Geräten und Pflanzen für das Gartenprojekt. Von einem Stuttgarter Kinderkleidergeschäft wurde immer wieder neue Kinderwäsche geschenkt.
· Durch private Geldspenden konnten die Möbel für den Gemeinschaftsraum finanziert werden, in dem auch regelmäßig Kleider-Flohmärkte für Flüchtlinge stattfinden. Als nächstes Projekt steht an, den Gemüsegarten zu erweitern.
· Die AG Materielles und Finanzen möchte sich in diesem Rahmen auch im Namen von ganz Stammheim hilft! und den AWO-Mitarbeitern für alle Gaben bedanken.
AG Begleitung
· Wer in Deutschland neu ankommt, für den ist erst einmal alles Neuland – angefangen von den einfachsten Dingen des Alltags. Hier hilft die AG Begleitung, die Flüchtlinge neben Terminen beim Arzt, auch beim Amt, in der Schule, bei Gerichtsterminen oder bei Kino- und Theaterbesuchen begleitet. Auch die Integration in bestehende Angebote besteht, etwa den Fahrradtouren des adfc.
· Zusätzliche Angebote der AG Begleitung sind die regelmäßige Hausaufgaben-Betreuung und Frauengesprächskreise. Die AG trifft sich alle 6 Wochen zum regen Gedankenaustausch.
· Die Bereiche, in denen Geflüchtete Hilfe brauchen, haben sich in der letzten Zeit geändert: Heute sind Hilfe bei Ausbildungs-, Job- und der Wohnungssuche wichtig. Dafür sucht die AG Begleitung noch Mitstreiter.
· Wenn Sie die Helfer der AG Begleitung und einige der Flüchtlinge einmal unverbindlich kennenlernen wollen, kommen Sie in die Teestube! Jeden Freitag um 19 Uhr im Gemeinschaftsraum der Flüchtlingsunterkunft in der Kameralamtsstraße 69. Die AG lädt alle Stammheimer herzlich dazu ein, in ungezwungener Runde erste Kontakte zu knüpfen.
· Der AG ist wichtig, über den regelmäßigen Kontakt die Flüchtlinge kennenzulernen, ihr Schicksal zu erfahren, Gemeinschaft und Gastfreundschaft zu erleben und von ihren Sorgen und Nöten zu erfahren und versuchen zu helfen. Joachim Hambücher von der AG Begleitung, meint dazu, er habe „bisher keine Flüchtlinge kennen gelernt, die sich nicht größte Mühe geben, Deutsch zu lernen und offen sind, sich zu integrieren. Doch das ist nicht einfach. Umso wichtiger ist unsere Hilfe und gewachsene Freundschaft.“
AG Kommunikation
· Webseite und E-Mail-Verteiler – ohne dies ist ein Helferkreis heutzutage aufgeschmissen. Was hilft es, ein Fest oder einen Informationsabend zu veranstalten, wenn keiner davon erfährt. Oder wenn ein Spendenaufruf seine Adressaten nicht erreicht. Dass der Informationsfluss intern sowie extern funktioniert, darum kümmert sich die AG Kommunikation. Außerdem sorgt sie für die Öffentlichkeitsarbeit und das Weiterleiten von Informationen über die ortsübergreifende Flüchtlingshilfe.
Zusätzlich gibt es Menschen, die unabhängig von einer AG einzelnen Personen und Familien helfen. Auch das ist in Stammheim hilft! möglich.
Nun wohnen die Geflüchteten bald zwei Jahre bei uns in Stammheim. Viele sind gut integriert: Ihre Kinder gehen in unsere Kindergärten und Schulen, die Erwachsenen treffen sich regelmäßig mit Stammheim hilft! Engagierten. Oder sie sind in unseren Sportvereinen aktiv.
Einige warten noch immer auf den Ausgang ihres Asylverfahrens – die Angst, in ihre Heimat zurückzumüssen, wo immer noch Krieg, Diktatur und Terror herrschen zurückzumüssen, sitzt ihnen im Nacken. Stammheim hilft! kann nicht die Abschiebepolitik ändern aber zeigen, dass es in Deutschland viele gibt, die sie hier immer noch willkommen heißen und ihnen ein Ansprechpartner für ihre Sorgen sein können. Wer einmal im persönlichen Gespräch erfahren hat, was die Geflüchteten in ihrem Heimatland erlebt haben und welche Strapazen die Flucht hierher mit sich brachte, wünscht sie sicher nicht zurück.
Viele Flüchtlinge haben die erste Hürde zur Integration überwunden und können sich in Deutsch gut verständigen. Jetzt suchen sie Wohnungen, Praktikums- und Arbeitsstellen. Dabei wollen viele unserem Stadtbezirk treu bleiben.
„Ich suche eine Wohnung in Stammheim, weil meine Kinder hier in den Kindergarten und in die Schule gehen“, sagt mir noch der Geflüchtete aus Afghanistan. Er fühlt sich hier wohl und will nicht weg. „Und ich suche eine Arbeit: ich will selbst Geld verdienen und nicht vom Staat bezahlt werden – das ist nicht gut.“
„Stammheim hilft!“ will weiter helfen und braucht dafür weiterhin viele Engagierte. Machen Sie mit: Steigen Sie neu oder wieder ein. Wir freuen uns darauf. Und die 180 Stammheimer Geflüchteten dazu.
Bei konkreten Anfragen senden Sie eine E-Mail an info@stammheimhilft.de